Ich stelle mich vor

Ich bin Jahrgang 1949 und bin in Säckingen geboren. Bis zu meinem 6. Lebensjahr habe ich allemannisch gesprochen. Danach bin ich in Stuttgart aufgewachsen und habe das Schwäbische angenommen. Ich wurde auf eine der ersten "Jugendmusikschulen" geschickt, um Blockflöte zu lernen. Diesen Unterricht brach ich nach einem Jahr wegen permanenter Anöde und Langeweile ab. Es folgte Geigenunterricht, weil mein Vater Geige spielte und Instrumente schon vorhanden waren. Diesen Unterricht hielt ich 3 1/2 Jahre durch, bis ich 16 war und die Popmusik 1965 wirklich interessant wurde. Ich brauchte eine Gitarre und baute sie mir nach der Bauanleitung in einem "Werkbuch für Jungen" (mit Preisangaben im Text in Reichsmark) selbst. Beeindruckt schenkten mir meine Eltern dann eine echte Gitarre zum 17. Geburtstag. Sie waren immer von meiner Musikalität überzeugt; ich habe ab und zu im langweilig einstimmigen Schulsingen zum Entsetzen / Entzücken der Lehrkräfte eine brauchbare zweite Stimme improvisiert.

Ich bin in Stuttgart - Degerloch ins Wilhelmsgymnasium gegangen, der Musikunterricht wurde in Ermangelung von Lehrern vom Mathematiklehrer gestellt; er brachte uns über die Notenwerte das Bruchrechnen nah und erklärte die Metronomschlagzahlen. So kam es zur Note 4 in meinem Zeugnis.

Danach habe ich ein Biologiestudium in Hohenheim begonnen, an dessen Mathematik - und Chemiefächern ich dann langsam, aber definitiv  gescheitert bin. Stattdessen habe ich, meinen musikalischen Leidenschaften folgend, beschlossen, einen Beruf mit Musik zu erlernen. Ich fand nur éin Institut in Deutschland, an dem man Gitarre studieren konnte, OHNE Klavier lernen zu müssen, weil ein gewisser Fred Harz die erste anerkannte Harmonielehre für Gitarristen herausgebracht hatte. Es war die Rheinische Musikschule / Konservatorium der Stadt Köln in Köln-Ehrenfeld. Nach ein paar Semestern Berufsausbildung wurde das Institut zur ordinären Musikschule heruntergestuft, und ich fand mich nur noch in der "vorberuflichen Fachausbildung" wieder. Ich wechselte nach Wuppertal auf die Staatliche Hochschule für Musik Rheinland zu Prof. Kreidler, wo ich 1979 mit Diplom zum Allgemeinen Musikerzieher abschloss. Als Pflicht- Zweitinstrument versuchte ich mich kurz an Gambe und Mandoline; dann aber griff ich die Geige wieder auf und machte den Schein.

 

Direkt im Anschluss übernahm ich eine Stelle als Vollzeit - Musikschullehrer für Gitarre an der Musikschule der Stadt Bonn. Hier gab es nur Konzertgitarre (Elektrogitarre war kulturfremd und bildungsfern) und "Gitarrenenspielkreise" (in denen Gitarristen nur einstimmige Melodiestimmen klassischer Gitarrenmusik spielen).

 

Dies war mein Werdegang im Sinne der offiziellen Ausbildung und Lehre in der damaligen Zeit. Inoffiziell lernte ich viel mehr und viel wichtigere Sachen:

 

Ich wurde 1965 elektrisiert von der Musik, die in Deutschland zuweilen als "Negermusik" von vaterlandsliebenden Erziehern eingestuft wurde und vor der als "Reizmusik" gewarnt wurde, weil sie die jungen Leute enthemmt und ihre Sittlichkeit gefährdet. Ich hörte schon früher  im amerikanischen Soldatensender AFN das Bluegrassbanjo, nicht wissend, was da tönte,  und war hingerissen. Ich hörte im 6- Transistor - Taschenradio durch athmosphärisches Rauschen und Krachen auf der Mittelwelle all die Legenden, die der Popmusik der letzten 50 Jahre den Grund gelegt haben: Stones, Beatles, Animals, Pretty Things, Bob Dylan  und das ganze wunderbar wilde Getier, das den Investoren in den deutschen Schlager das Geschäft verdarb, mit ihren knallroten Gummibooten und lachenden Vagabunden. Ich brachte mir das E - Gitarrenspiel bei, gründete eine Band, sang die Hitparade rauf und runter. Als Verstärker nahm ich zunächst alte Radios mit Edelholzgehäuse und Magischem Auge; manche dieser Dinger gaben nach ein paar Proben nur noch Pfeifen und Qualmwolken von sich.

 

Meine Neugier nach nicht - klassischen und nicht - kitschigen Klängen war unstillbar. Ich sammelte Instrumente aus Pfandhäusern und Flohmärkten und fand so Banjo, Mandoline, Autoharp ("Thierfeld's Accordzither"), und und ich baute weiter eine 12 - saitige Gitarre. Ich fand Vinylplatten mit Joan Baez, Newport Folk Festival,  Blues sowie Musik aus Irland und Schottland. 1969 spielte ich mein erstes Solokonzert als Folksänger. Ich verlegte mich auf Blues ("Tom Kannmacher's Modern Guitar Blues") und tourte durch die schwäbische Provinz. Es verschlug mich auf die ersten französischen Folk Festivals in Malataverne (1971), Vesdun und Montsalvy, und dort kam der glückselige Kulturschock: Ich fand all die herrlichen Instrumente, Traditionen und Musikstile vor, die mich bis heute fesseln: Northumbrian Pipes, Irish fiddle, Cajun, bretonische Musik, Dobro, Drehleier, Epinette des Vosges,...Dinge, von denen die Deutschen nur aus Lexica wussten, das es sie gibt, wenn überhaupt. Ich besorgte oder baute mir nach und nach so gut wie alle diese Instrumente und lernte sie autodidaktisch zu spielen.

 

Ich hatte so um 1969 herum eine Platte der Clancy Brothers im Grabbelkasten bei "Radio Barth" in Stuttgart gefunden. Da waren Lieder in einer fremden Sprache drauf, mit Trommelbegleitung, sie kam aus Irland und klang wie aus Afrika. Im Radio hörte ich ein betörend klingendes Instrument - es waren Finbar Furey's Uilleann Pipes. Also fuhr ich   1972 per Anhalter nach Irland, spielte in Spiddal / Connemara in der Kneipe meinen Guitar Blues und konnte Séamus Ennis auf den Pipes live in Slattery's in Dublin hören. Ich erlebte die ersten Sessions in Loughrea, die damals noch Avantgarde waren. Die Uilleann Pipes waren von da an für mich DAS traditionelle königliche Instrument überhaupt. Ich bekam das erste practice set 1976, 1977 machte ich Nägel mit Köpfen und ließ mir ein full set von John Addison anfertigen, das ich heute noch spiele.

 

Ich las die Musikliteratur in den öffentlichen Bibliotheken und suchte nach deutschen Pendants zu den herrlichen Balladen und Liedern der ausländischen Traditionen. Ich wurde fündig: Im 16. Jahrhundert. Da gab es noch wilde Gesänge über die Themen, die auch Blues und Folk in ähnlicher Unverblümtheit  besingen. Ich brachte sie 1972 auf die Bühne, und ich traf auf den Touren Gleichgesinnte, die unabhängig den selben Weg gingen: Fiedel Michel, Elster Silberflug., Hansi Metsch.  Die Presse und die Medien wurden hellhörig: Eine Volkslied-Renaissance im Folk - Stil ! Sie nannten es Deutschfolk. Zusammen mit Jürgen Schöntges nahm ich mehrere Vinylplatten auf, es gab eine Menge Rundfunk - und Fernsehauftritte, die Festivals waren ein Thema für die Tagesschau.

 

An der Musikschule gründete ich 1982 die erste Folkband: "Cherry Alley", in der ich all diese Musikrichtungen und Spieltechniken unterrichtete. Es folgten "Rolling Wave" und "Keen on Tunes"  mit irischer Musik und die Folk - Kinderbands "Die Erkelteten" und "Young Folks". Sabrina Palm, einst als Teenager in "Rolling Wave" eingestiegen, führt nach meinem Eintritt in den Ruhestand die "Young Folks" weiter, und sie hat in diesem Geiste bereits eigene neue Bands, die "Reel Talents", "Bonny Fiddlers" und "Old Folks".

 

Ab 1982 unterrichtete ich an der Musikschule auch Uilleann Pipes, später dann fiddle, flute, Banjo und die Folk - Gitarrentechniken.

All diese Projekte wurden lobenswerterweise von der orthodox - klassischen Musikschulleitung der Bonner Musikschule immer unterstützt, wenn auch nicht immer in ihrem Wesen verstanden. Aus meiner Schülerschaft als erster Grundlage hat sich im Lauf der Jahrzehnte die legendäre blühende Bonner Irish Session - und Band - Szene entwickelt.

 

Daneben gründete ich viele Ensembles für die verschiedensten Projekte, manche als Pioniertat als erster Versuch in Deutschland:

 

Irish Folk auf Konzertgitarre und  Drehleier, mit Petr Pandula (jetzt Veranstalter in Irland) 1979

"Tom Kannmacher vertont Heinz - Rudolf Kunze", frei komponierte Gedichtvertonungen dieses persönlichen Freundes, für traditionelle Instrumente, 1980

Carolan - Duo mit Thomas Breckheimer 1981

"Celtic Solo", Irish Folk auf Pipes und Gitarre instrumental

Keltischer Jazz auf Uilleann Pipes mit Tom Kannmacher Trio 1982

Irlandtournee mit Gerome Morris 1984

Traditionelle Musik mit Flute (Diarmuid Johnson) und Pipes 1992

Irish Pipes and Poetry, mit Gedichten von Diarmuid Johnson, 1995

 

Noch aktuell sind:

 

Kannmacher & Hennes, Irish Folk, 2005

Music of the Gentlemen Pipers, Klassische Musik der Uilleann Pipes, 2005

Musik und Geschichten aus dem Westen Irlands, Märchenlesung, 2007

Reel Bach Consort 2007

Volksmündige deutsche Lieder zur Laute, 2014

 

Heute verfeinere ich meine Instrumentaltechniken weiter, baue erweiternde Konstruktionen an die Pipes und die Gitarre für meine stilistischen Vorlieben  und konzipiere spezielle Projekte, in denen diese Musik eindrucksvoll in Szene gesetzt werden kann. Ich habe das deutsche Lied wieder aufgegriffen und in der Deutschen Laute ein adäquates inländisches traditionelles Instrument entdeckt.

Seit ich im Ruhestand bin, unterrichte ich privat und im Studienhaus für keltische Sprachen und Kulturen SKSK Uilleann Pipes und irischsprachige Lieder.

Im "Reel Bach Consort" wird der alte Konflikt deutlich: Zwischen dem Glauben an formale Bildung und konservative Musikpflege und der schieren Lust, Musik aus dem Bauch und mit spontaner Gestaltung zu entwickeln.

 

Mit diesem Konflikt  hat bei mir damals alles angefangen.